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Bund wälzt rechtswidrig Rentenbeiträge für Menschen mit Behinderungen ab

Archiv Linksfraktion - Nachricht,

 

 

Korrektur des 4. SGB IV Änderungsgesetzes steht bislang aus 

 

 

500 Milionen Euro an Beiträgen für die Rentenversicherung will die Bundesregierung auf die Bundesagentur für Arbeit und die Rentenversicherung abwälzen. Im Rahmen einer Änderung des 4. Sozialgesetzbuchs soll "klargestellt" werden, dass im Eingangs- und Berufsbildungsbereich der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) die Rentenversicherungsbeiträge von der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zu zahlen sind. Die bisherige, langjährige Praxis der Erstattung der Beiträge durch den Bund wird ausgeschlossen. Die massive Kritik von Sachverständigen bleibt bislang ungehört. Diese hatten übereinstimmend in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 24. Oktober 2011 ausgeführt, dass die Überwälzung der Beiträge nicht sachlich begründet ist und das Vorhaben der Bundesregierung, das Gesetz rückwirkend zu ändern, sogar verfassungswidrig ist. Eine Korrektur des Gesetzes steht bis heute aus.  

  Das SGB IV Änderungsgesetz ist ein Lehrstück über die Ignoranz und Willkür der Macht. Die Rentenversicherungsbeiträge für Menschen, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen tätig sind, wurden seit 1975 von der Bundesregierung getragen. Dies war über lange Jahre unstrittige Praxis – bis die Bundesregierung im Jahr 2007 eine neue Rechtsauslegung des einschlägigen Paragraphen vornahm. Danach seien in bestimmten Bereichen der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (im Eingangs- sowie im Berufsbildungsbereich) nunmehr die Bundesagentur für Arbeit sowie die deutsche Rentenversicherung für die Beitragszahlung zuständig.

Ministerium verlor Rechtsstreit

Die beiden Sozialversicherungsträger wurden über eine Anweisung verpflichtet, die Zahlungen zu leisten. Weder die Bundesagentur für Arbeit noch die Rentenversicherung haben die neue Rechtsauslegung jemals akzeptiert, waren aber gezwungen sie umzusetzen. Im Gegenteil: Die Bundesagentur für Arbeit hat einen Rechtsstreit gegen das Ministerium begonnen und am 25. Februar 2010 vor dem Bayerischen Landessozialgericht abschließend gewonnen. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Rentenversicherung hat ihrerseits mit dem zuständigen Bundesministerium im jährlichen Rhythmus schriftliche Vereinbarungen geschlossen (2008, 2009, 2010), in denen sich das Ministerium bereit erklärt hat, eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder einen unwiderruflichen gerichtlichen Vergleich anzuerkennen. Die Erstattung bereits geleisteter Aufwendungen der Rentenversicherung wurde für den Fall einer Niederlage im Rechtsstreit zugesichert. Das Ministerium hat sogar eine Verzinsung von vier Prozent in Aussicht gestellt.   Statt sich aber an das rechtsgültige Urteil und die schriftlich gegebenen Zusagen zu halten, liegt nunmehr ein gegenteiliger Gesetzentwurf vor. Die als rechtswidrig gewertete Auffassung der Bundesregierung soll ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen werden; und diese soll auch noch rückwirkend gelten. Die Regierung und die sie tragenden Fraktionen von Union und FDP wollen anscheinend unbedingt vermeiden, dass die eigentlich notwendigen Erstattungen an die Bundesagentur für Arbeit und die Rentenversicherung geleistet werden. Eine halbe Milliarde Euro würden dann im Bundeshaushalt fehlen.   Nicht ein Sachverständiger heißt das Vorgehen der Regierung gut   Nach den Ausführungen der Sachverständigen in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 24. Oktober 2011 liegt bei diesem Vorgehen eine sogenannte "echte Rückwirkung" vor, die verfassungsrechtlich höchst bedenklich ist. Der Sachverständige Prof. Dr. Hase hat ausgeführt: Es sei ein "singulärer und überaus bedenklicher Vorgang, wenn rückwirkend Vorschriften geändert werden, auf deren Grundlage die Gerichte bereits verbindliche Entscheidungen getroffen haben." Dies kann nur als Arroganz der Macht bezeichnet werden: Ein rechtskräftiges Urteil wird – trotz anderslautender schriftlicher Zusage - nicht anerkannt und stattdessen das Gesetz rückwirkend geändert.

Der Abgeordnete Birkwald von der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag hat in der Sachverständigen-Anhörung gefragt, ob einer der anwesenden Experten das Vorgehen der Bundesregierung in dieser Frage für gut heißt. Nicht ein Einziger hat sich gemeldet. So eindeutig und für die Bundesregierung katastrophal verläuft selten eine Anhörung. Selbst der verzweifelte Versuch eines Abgeordneten der Union, dem Vertreter des Bundesrechnungshofes in diesem Punkt eine positive Bewertung des Gesetzes in den Mund zu legen, scheiterte. Wenn Sachverständigen-Anhörungen einen Sinn haben sollen, dann kann dies nur bedeuten: Die Überwälzung der Beitragszahlungen auf die BA und die Rentenversicherung muss korrigiert werden. Diese Korrektur des Gesetzes steht bis heute aus. Das Gesetzgebungsverfahren wird stattdessen verschleppt. 
Betroffenen droht Senkung der Rentenansprüche
  Nun könnte man ja einwenden: Die Leistungsberechtigten seien ja nicht betroffen; es ginge doch lediglich um die Frage, wer die Beiträge bezahle; an den Leistungsansprüchen der betroffenen Menschen mit Behinderungen ändere sich doch nichts. Dies ist allerdings zu kurz gedacht. Die Kostenüberwälzungen – insbesondere an die Bundesagentur für Arbeit –  führen in der Summe zu immer weniger und schlechteren Leistungen in der Arbeitsförderung. Die Erwerbslosen zahlen somit mit geringeren Integrationschancen.   Aber auch eine unmittelbare Leistungskürzung droht, wenn das Gesetz unverändert durchgeht. In der genannten Anhörung hat die Bundesagentur für Arbeit den Kampf gegen die Kostenüberwälzung anscheinend schon aufgegeben. Ihr vorgetragenes Anliegen war: Wenn die Kosten schon überwälzt werden, so soll zumindest die Höhe beschränkt werden. Während bislang eine Bemessungsgröße von 80 Prozent der Bezugsgröße, d.h. des Durchschnittsentgelts aller Rentenversicherten bei der Beitragsabführung zugrunde gelegt wurde, schlägt die Bundesagentur für Arbeit eine Absenkung auf 20 Prozent vor. Damit würden die zukünftigen Rentenansprüche der betroffenen Menschen mit Behinderungen massiv gesenkt. Dies wäre dann die Überwälzung der Kosten auf die Betroffenen.