Plädoyer für die Finanztransaktionssteuer
Von Rudolf HickelAls der Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin 1978 so nebenbei anregte, die Spekulationen mit Währungen zu besteuern, da konnte er nicht ahnen, dass die Tobin-Steuer breite Kreise ziehen und zu einer Finanztransaktionssteuer verallgemeinert werden würde. Die Idee ist auf den beiden letzten G20-Gipfeln 2009 in London und Pittsburgh - mit Unterstützung der Bundeskanzlerin - aufgegriffen worden.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung will von einer Besteuerung der Umsätze auf den Finanzmärkten nichts mehr wissen. Vorgeschoben wird eine Bankenabgabe. Diese wäre freilich eine Strafabgabe vor allem für Volksbanken und Sparkassen sowie einige Landesbanken, die für die Bankenkrise nicht verantwortlich sind. Logischerweise führt die Abgabe ins Dilemma. Banken werden dazu animiert, Spekulationsgeschäfte weiter zu betreiben. Und wenn diese Sprengsätze zünden sollten, wird den Banken Rettung aus dem mit der Abgabe finanzierten Fonds geboten. Zudem wäre dessen Volumen so gering, dass am Ende die Sozialisierung der Verluste durch das Steuerzahlervolk finanziert wird.
Nicht erst seit den jüngsten Attacken gegen Griechenland und den Euro wird deutlich, dass den reinen Spekulationsgeschäften der Kampf angesagt werden muss. Seit Ende der 1980er Jahre ist deren Volumen sprunghaft angestiegen. Zu Beginn der jüngsten Finanzmarktkrise war es ca. 75 Mal so hoch wie das Welt-Bruttoinlandsprodukt. Diese Geschäfte führen zu Störungen auf den Märkten und schließlich zum Zusammenbruch des Bankensystems mit Kollateralschäden in der Realwirtschaft.
Deshalb sieht die Finanztransaktionssteuer vor, die vorwiegend spekulativen Geschäfte teurer zu machen. Besteuert werden alle Käufe und Verkäufe (Sekundärhandel): Währungen, Aktien, Anleihen, Schatzbriefe, Zertifikate und Derivategeschäfte (abgekoppelt von der Finanzierungsfunktion für die Realwirtschaft). Die Lenkungsfunktion der Steuer setzt darauf, die Spekulationsgeschäfte zu reduzieren. Die Finanzierungsfunktion stellt auf die erzielbaren öffentlichen Einnahmen ab. Die beiden Funktionen können aber in Widerspruch geraten: Wird ein sehr niedriger Steuersatz gewählt, fällt der Rückgang der spekulativen Umsätze auf den Finanzmärkten geringer aus; dafür ist die Steuer aber sehr ergiebig. Laut einer Studie des österreichischen Wirtschaftsinstituts WIFO könnte mit einem Steuersatz von 0,01 Prozent (je zur Hälfte durch den Käufer bzw. Verkäufer aufgebracht) allein in Deutschland ein Volumen von knapp 40 Milliarden Euro erzielt werden. Die gigantischen Einnahmen aus einer weltweit umgesetzten Finanztransaktionssteuer ließen sich für ein wirksames Armutsprogramm nutzen.
Die Steuer ist wie die britische »Stempelsteuer« auf Aktienumsätze auch im Alleingang machbar. Deutschland sollte sie einführen und dafür sorgen, dass in der EU eine einheitliche Lösung angestrebt wird. Schließlich nützt dies allen Ländern - auch dem schwer angeschlagenen Finanzplatz London. Mit den vorhandenen elektronischen Handelssystemen ließe sich ein effektives Kontrollsystem gegen Steuerhinterziehung einrichten.
Die Finanztransaktionssteuer reicht jedoch nicht aus. Ob die Umsätze mit Spekulationsgeschäften dadurch wirklich zurückgehen, ist ungewiss. Deshalb muss die Regulierung der Finanzmärkte die Lenkungsfunktion verstärken. Dazu gehört das Verbot oder zumindest die kontrollierte Einschränkung der aggressiven Instrumente wie Leerverkäufe. Ausfallversicherungen auf Staatsanleihen (CDS) dürfen nur abgeschlossen werden, wenn auch ein Kreditgeschäft vorliegt. Dies alles sorgt dafür, dass die Bemessungsgrundlage und damit die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer sinken. Doch das ordnungspolitische Ziel lautet nun mal: Beschränkung aggressiver Spekulationsgeschäfte.
Neues Deutschland, 18. Mai 2010