EU-Minister beschließen Richtlinien zu Arbeitszeit und Leiharbeit
Nach jahrelangem Tauziehen haben sich die Arbeitsminister der 27 EU-Staaten auf Richtlinien zur Arbeitszeit und Leiharbeit geeinigt. EU-Abgeordnete von SPD, Linken und Grünen haben den Kompromiss scharf kritisiert.Luxemburg/Berlin (dpa/ND). Mit den geplanten Richtlinien sollen Millionen von Leiharbeitern und überlastete Klinikärzte und Feuerwehrleute in Europa einheitliche Regeln für bessere Arbeitsbedingungen bekommen. Der in einem Verhandlungs-Marathon in der Nacht zum Dienstag in Luxemburg ausgehandelte Kompromiss stieß allerdings auf ein geteiltes Echo.
Bei der Novelllierung der Arbeitszeitrichtlinie wird künftig zwischen aktiver und inaktiver Bereitschaft unterschieden. Je nachdem, ob Bereitschaftsdienst ganz als Arbeitszeit gezählt wird oder nicht, dürften Betroffene 60 oder 65 Stunden pro Woche arbeiten. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund kündigte deshalb bereits an, vor Gericht zu ziehen, sollte die Richtlinie zu Änderungen bei der Anerkennung von ärztlichen Bereitschaftszeiten führen. Auch DGB-Chef Michael Sommer kritisierte die Pläne als »sozialen Rückschritt«. Die Nichtanrechnung von Ruhephasen widerspreche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Er hofft, dass das EU-Parlament noch »Verbesserungen« durchsetzt. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) kritisierte ebenfalls zahlreiche Ausnahmen von der Regel einer 48-Stunden-Woche. »Es gibt eine Möglichkeit, darüber hinauszugehen«, räumte eine Sprecherin von EU-Arbeitskommissar Vladimir Spidla ein: Die Sozialpartner könnten abweichende Vorgaben vereinbaren.
Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die Richtlinien als »gute Lösung« für Deutschland. Für die Beschäftigten ändere sich kaum etwas, da Deutschland schon jetzt ein sehr modernes Arbeitsrecht habe. SPD-Sozialexpertin Karin Jöns stellte sich dagegen frontal gegen ihren Parteifreund: Das Ergebnis sei ein »Schlag ins Gesicht für alle Arbeitnehmer«, erklärte sie am Dienstag in Brüssel. Die EU-Abgeordnete der LINKEN, Gabi Zimmer, warf Scholz vor, er sage die Unwahrheit, wenn er behaupte, dass sich für Deutschland nichts ändere. Die EU-Grüne Elisabeth Schroedter sprach von einem »großen Rückschlag für den Schutz der Arbeitnehmer«. Ähnlich äußerte sich der spanische Minister Celestino Corbacho. Spaniens sozialistische Regierung hatte ebenso wie Belgien, Ungarn, Griechenland und Zypern strengere Regeln zum Schutz von Arbeitnehmern gefordert. Weil Frankreich in dieser Frage umschwenkte, konnte die Minderheit den Plan nicht mehr blockieren.
Der Ratsbeschluss zu Leiharbeitern unterdessen sieht vor, dass Zeitarbeiter grundsätzlich vom ersten Tag an gleiche Rechte bekommen wie Festangestellte im selben Betrieb. Das gilt für Bezahlung, Urlaub und Elternzeit. Ausnahmen sind möglich, wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber dies auf nationaler Ebene vereinbaren. Diese Richtlinie sei im Großen und Ganzen ein Fortschritt, sagte EGB-Expertin Catelene Passchier. Auch DGB-Chef Michael Sommer sprach von einem »kleinen Fortschritt für ein soziales Europa«, es sei zu begrüßen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung von Leiharbeitskräften mit dem Stammpersonal des Einsatzbetriebes zum europaweiten Standard werden solle. Der Gewerkschafter sieht jedoch für Deutschland keine Verbesserung.
EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla wertete den Beschluss als Verbesserung für Millionen Beschäftigte. »Dies ist ein großer Fortschritt für europäische Arbeitnehmer und stärkt den sozialen Dialog.« Er bringe den Arbeitnehmern und Zeitarbeitern »mehr Sicherheit und bessere Bedingungen«. Zugleich erhalte die Industrie mehr Flexibilität.
Bundesminister Scholz bezeichnete die beiden Richtlinien als »wichtige Bausteine eines sozialen Europas«.
Neues Deutschland, 11. Juni 2008