Auf den ersten Blick klingt der Vorschlag »Datenschutz ins Grundgesetz« sinnvoll. Auf den zweiten aber führt er in die falsche Richtung. Denn ein im Grundgesetz verankertes Recht auf Datenschutz bedeutet nicht zwangläufig seine dezidierte Durchsetzung.
Ein Debattenbeitrag von Jan Korte im Neuen Deutschland.
Nach den unglaublichen Datenschutzskandalen von Lidl bis zur Deutschen Telekom ist die Frage des Datenschutzes ins Zentrum der Politik gerückt. War es bis dato vor allem ein Expertenthema, so merken zunehmend mehr Menschen, dass der Datenschutz eine elementare demokratische Notwendigkeit für eine offene und freie Gesellschaft ist. Damit eröffnet sich der Politik und den fortschrittlichen Kräften die Möglichkeit, politische Gegenmacht zu entwickeln. Die Demonstration »Freiheit statt Angst« zeigt, dass Schäuble nicht mehr so einfach den Datenschutz und die Grund- und Freiheitsrechte schleifen kann, wie dies noch bis vor einigen Monaten möglich war. Soweit, so hoffnungsvoll.
Nun wurde - besonders von den Grünen - gefordert, den Datenschutz ins Grundgesetz zu schreiben. Zuerst einmal ist es begrüßenswert, dass die Grünen die Grund- und Freiheitsrechte wieder verteidigen, nachdem sie unter Rot-Grün zu ihrem Leiden beigetragen haben. Somit klingt der Vorschlag »Datenschutz ins Grundgesetz« erstmal sinnvoll. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick jedoch führt der Vorschlag nicht in die richtige Richtung. Warum?
Die Forderung lenkt davon ab, dass wir in Politik und Gesellschaft einen täglichen Verteidigungskampf um den Datenschutz führen müssen. Als Stichworte seien genannt: Wir brauchen jetzt endlich ein modernes, der technischen Entwicklung angepasstes modernes Datenschutzrecht. Wir brauchen jetzt ein durchgreifendes Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, das endlich die datenschutzfreien Räume in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen beendet - Videoschnüffelei wie bei Lidl wäre damit zu verhindern gewesen. Ganz dringend müssen die Bundes- und Landesmittel für die Arbeit der Datenschutzbeauftragten merklich aufgestockt werden, um endlich ansatzweise eine Kontroll-instanz zu schaffen, die diesen Namen auch verdient. Gerade der Telekomskandal zeigt, dass die Vorratsdatenspeicherung auf den Prüfstand gehört, oder besser, umgehend ausgesetzt wird. Und gerade jetzt ist es an der Zeit, die Frage des Datenschutzes nicht nur als Problem der Privatwirtschaft oder gar der Bürger selbst zu kennzeichnen, wie es der neue »Ober-Datenschützer« Wolfgang Schäuble betreibt. Mindestens genauso wichtig ist heute die Durchsetzung eines Datenschutzbewusstseins in der Politik. Ganz aktuell muss es zum Beispiel darum gehen, die geplante Online-Durchsuchung zu verhindern.
Diese Aufzählung macht schon deutlich, wo das Problem bei der Forderung »Datenschutz ins Grundgesetz« liegt. Es legt nahe, mit solch einem Beschluss sei der Datenschutz sicherer und durchgesetzt. Dabei geht es aber aus meiner Sicht erstmal um die Verteidigung des bestehenden Grundgesetzes gegen z. B. die Bestrebungen, die Bundeswehr im Innern einzusetzen. Und - ganz entscheidend - ein im Grundgesetz verankertes Recht auf Datenschutz bedeutet nicht zwangläufig seine dezidierte Durchsetzung.
Nehmen wir ein anderes Beispiel: In Artikel 3, Absatz 2 Grundgesetz steht: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt«. Im selben Artikel, einen Absatz weiter heißt es dann: »Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.« Man kann ahnen, worauf ich hinaus will: Viele Menschen und DIE LINKE kämpfen darum, diese Grundrechte durchzusetzen - jeden Tag. Auf der Straße, in Gesprächen oder im Parlament. Trotzdem sind diese festgeschriebenen Grundrechte noch nicht durchgesetzt, sie müssen täglich verteidigt und ihre Geltung erkämpft werden. Mein zentraler Kritikpunkt ist also: Datenschutz muss politisch-gesellschaftlich erstritten und durchgesetzt werden. Dies ist mühselig und oft von Niederlagen begleitet. Die Frage lautet aber: Hätte das Bundesverfassungsgericht mit einem kodifizierten Grundrecht »Datenschutz« bei der Online-Durchsuchung anders entschieden? Wäre das Urteil zur Rasterfahndung anders ausgefallen? Mag sein, dass ein einfach formuliertes Grundrecht in der Verfassung leichter auswendig zu lernen und zu erkennen ist, aber ist es damit schon praktiziert? Auf Gebetsfahnen geschrieben sind Grundrechte noch lange nicht realisiert.
Ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz kommt eben nicht vom Himmel, wenn der Datenschutz im Grundgesetz direkt verankert ist. Es kommt nur dann, wenn ParlamentarierInnen, Gewerkschaften, Bürgerrechtsorganisationen und Parteien solch ein Gesetz zu ihrer Sache machen und es mittels politischen Drucks durchsetzen.
Noch eine andere, eher grundsätzliche Anmerkung: Jedes Jahr wieder beschäftigen sich die Bundestagsfraktionen mit Forderungen, bestimmte Rechte ins Grundgesetz aufzunehmen: Sei es der Tierschutz, der Sport oder die Kinderrechte. Alles überlegenswert, aber eben auch unpolitisch und inflationär. Auch bei Linken zeigt sich allzu oft die Haltung, dass das Bundesverfassungsgericht oder ein neues Grundrecht die schlimmsten Auswüchse heilen würden. Zum Glück stimmt dies manchmal, etwa beim Luftsicherheitsgesetz oder beim uferlosen Kfz-Kennzeichen-scanning. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass Linke, Datenschützer und die außerparlamentarische Bewegung selber zu schwach sind, um bereits im Vorfeld tiefe Einschnitte in die Grund- und Freiheitsrechte zu verhindern. Es ist gut, dass das Gericht des Öfteren für den Datenschutz votiert hat - der Grundrechtsschutz muss aber zurück ins Parlament und in die Gesellschaft. Wir müssen in der politischen Auseinandersetzung eine gesellschaftliche Stimmung schaffen, die der Law-and-Order-Politik Einhalt gebietet. Hört sich schwierig an, ist aber der erfolgreichere Weg.
Selbstverständlich schadet die Aufnahme des Datenschutzes ins Grundgesetz nicht. Aber die Versuchung, sich auf der Ebene einer staatsfixierten Symbolpolitik zu bewegen, ist groß und fördert nicht zwangsläufig das demokratische Engagement der Bürgerinnen und Bürger.
Autor: Jan Korte
Neues Deutschland, 17. Oktober 2008
Am Ende zu wenig
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Jan Korte,