Für 2011 und dann alle zehn Jahre schreibt eine EU-Richtlinie (EG Nr 763/2008) vor, umfassende Daten über die Bevölkerung und Wohnsituation vorzulegen. Es war noch die große Koalition, die mit ihrem Zensusgesetz 2009 weit über diese europäische Vorgabe hinausging und ähnlich wie beim Vorratsdatenspeicherungsgesetz die Gelegenheit nutzte, um möglichst viele Daten der Bürgerinnen und Bürger zu sammeln und zu speichern. Insgesamt zwei Bundesgesetze und die entsprechenden Umsetzungsgesetze der Länder sind die Grundlage für die jetzt laufende registergestützte Volkszählung unter dem Namen „Zensus 2011“. Dazu gibt es drei Fragebögen. Einen zur Gebäude- und Wohnungszählung, einen für die Haushaltsbefragung und einen für Wohnheime und Gemeinschaftsunterkünfte, sogenannte sensible Einrichtungen.
Welche Daten werden erhoben?
Registergestützt heißt, dass die direkte Befragung der Bürgerinnen und Bürger an der Haustür, anders als 1987 in der Bundesrepublik, eine vergleichsweise kleine Rolle spielt. Entscheidend ist heute der Abgleich der bereits existierenden Datenbestände bei der Bundesagentur für Arbeit, den Meldebehörden und mit anderen Datensammlungen. Etwa 17 bis 18 Millionen Immobilienbesitzer müssen zudem Alter und Größe der Gebäude, Ausstattung, deren Nutzung, Mietverhältnisse, Namen der Bewohner, Heizungsart, WC, Badewanne, Dusche und Nutzung ihrer Wohnungen oder Häuser angeben. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung werden aber direkt gezwungen, persönlichste Fragen zu beantworten. Dazu gehören auch sensible und diskriminierungsträchtige Fragen nach dem Migrationshintergrund oder der Zugehörigkeit zu einer „Religionsgesellschaft“ - also katholisch, orthodox, jüdisch usw.
Gerade die als freiwillig gekennzeichnete Frage nach der Religion oder Weltanschauung und Glaubensrichtung geht weit über die EU-Richtlinie hinaus.
Die beiden Säulen des Zensus - Registerzusammenführung und „Stichproben“-Erhebung von immerhin zehn Prozent der Bevölkerung - bilden mit den Daten der 18 Millionen Wohnungs- und Hauseigentümer und der Erfassung der Bewohner sensibler Sonderbereiche (Justizvollzugsanstalten, psychiatrische Einrichtungen,Krankenhäuser, Behindertenwohnheime und Notunterkünfte für Wohnungslose, aber auch Kasernen und Studentenwohnheime) die Informations- oder Datenbasis des Projekts, die zentral gespeichert wird.
Was kritisieren wir?
- Dieser Zensus ist unnötig! Es ist heutzutage nicht mehr nötig eine derart teure (800 Mio. Euro Kosten) und aufwändige Volkszählung durchzuführen, weil bei Meldeämtern u.a. genug aktuelle Daten zur Verfügung stehen.
- Sensible persönliche Daten, die zu anderen Zwecken gesammelt wurden, aus zahlreichen Quellen ohne Einwilligung der Betroffenen zusammenzuführen, widerspricht der strikten Zweckbindung des Bundesdatenschutzgesetzes.
- Die erhobenen Daten werden nach ihrer Auswertung nicht gelöscht, sondern bleiben zunächst für vier Jahre zentral gespeichert. Die Zusammenführung aller Daten erfolgt mit einer Ordnungsnummer. Sie hieß früher Personenkennziffer und war vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Volkszählung 1983 ausdrücklich verboten worden. So entsteht eine unvorstellbar große Datensammlung, die sogar die Re-Anonymisierung der Daten zulässt.
- Die Vollerhebung aller Bewohner sensibler Sonderbereiche (s.o.)birgt die Gefahr sozialer Stigmatisierung und Diskriminierung.
- Riesige, schwer kontrollierbare zentrale Datensammlungen bergen stets ein hohes Missbrauchspotential. Die mangelhafte Anonymisierung der Daten ist außerdem eine große Gefahr für Informationelle Selbstbestimmung, Datenschutz und Datensicherheit.
Was fordern wir?
- Keine Pflicht zur Beantwortung der Fragen!
- Keine Buß- oder Zwangsgelder bei Nichtteilnahme am Zensus 2011!
- Keine Ordnungsnummer, keine individuelle Zuordbarkeit!
- Keine Erhebung von Daten, die über die Erfordernisse der EU-Direktive hinausgeht!
- Keine Erhebung von Daten zu Religion und Weltanschauung!
- Keine Zusammenführung von Daten, die hierfür nicht erhoben worden sind!
- Automatische Benachrichtigung darüber, welche Daten von welchen Registerstellen übermittelt worden sind!
- Sofortige Löschung aller Daten nach Abschluss des Zensus und der statistischen Auswertung der Daten!
- Umfassende Kontrolle der privaten Beleglesezentren durch die Datenschutzbehörden!
- Größtmögliche Datensicherheit!
Die Fraktion DIE LINKE begrüßt deshalb alle Initiativen, die die noch vorhandenen rechtlichen und politischen Möglichkeiten nutzen, unsere Kritik an diesem überflüssigen und gefährlichen Projekt auszudrücken.
Was kann man tun?
Es gibt viele Formen widerständigen Verhaltens und Versuche Aufklärung zu betreiben:
Es gibt weitere Klagen – wie beispielsweise die gegen das Berliner Ausführungsgesetz zur Volkszählung. Man kann Widerspruch gegen die Befragung einlegen, dieser hat allerdings „keine aufschiebende Wirkung“. Man muss keinen der 80.000 „Zähler“, heute heißen sie Erhebungsbeauftragte, die an der Tür klingeln, in die Wohnung lassen. Niemand muss den Fragebogen sofort ausfüllen. Nichts spricht dagegen, die Fragen per Internet oder per Brief in aller Ruhe zu beantworten und sich vorher z.B. beim Meldeamt oder der Agentur für Arbeit zu erkundigen, welche genauen Daten von dort an die Erhebungsstelle übermittelt werden. Noch ist es auch nicht verboten in den Urlaub zu fahren …