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Türkei

Themenpapiere der Gruppe

Die Verhaftung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei im Februar 2017 und der deutschen Journalistin Mesale Tolu im Mai 2017 hat ein Schlaglicht nicht nur auf die inneren Verhältnisse in der Türkei, sondern auch auf die deutsch-türkischen Beziehungen geworfen.

Yücel und Tolu sind zwei von 150 Journalisten, die in der Türkei in Haft sind. Pressefreiheit, freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit – alle demokratischen Freiheitsrechte sind in der Türkei massiv bedroht, seit Präsident Erdoğan daran arbeitet, die Türkei Stück für Stück in eine islamistische Diktatur umzubauen.

Der gescheiterte Putschversuch vom 15.7.2016 diente als Vorwand für eine umfangreiche Säuberung. Über 100.000 Angestellte wurden seither aus dem öffentlichen Dienst entlassen. 37.000 angebliche Verschwörer wurden inhaftiert.

Dabei trifft die Repression nicht nur Anhänger des Predigers Gülen, den Erdoğan als Drahtzieher des Putsches vermutet. Vielmehr nutzt Erdoğan die Niederschlagung des Putsches zu einem Schlag gegen die gesamte Opposition. 2.800 Mitglieder der prokurdischen Linkspartei HDP wurden verhaftet, darunter die Parteivorsitzenden, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Gegen alle Abgeordneten der größten Oppositionspartei CHP wurde Strafanzeige gestellt, um auch ihre Kritik zum Schweigen zu bringen.

Trotz dieser bedrohlichen Vorzeichen stimmten die türkischen Wähler in ihrer Mehrheit am 16. April 2017 in einem Referendum zu, die Verfassung zu ändern und die Türkei zu einem Präsidialsystem umbauen mit weitreichenden Kompetenzen für den Präsidenten und massivem Abbau der Rechte des Parlaments. Die Mehrheit war knapper als vorgesehen: 51,4 Prozent stimmten mit Ja, 48,6 Prozent mit Nein. Die Linksfraktion hatte im Vorfeld ihre Partnerinnen und Partner in der Türkei unterstützt, die gegen die Verfassungsänderung und für ein kräftiges Nein („Hayır“) mobil machten – leider vergebens.

Die Auseinandersetzung um das Referendum hat auch in Deutschland unter den 1,4 Millionen Wahlberechtigten stattgefunden. Die Linksfraktion hat sich in diesem Zusammenhang gegen Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland ausgesprochen. Besorgniserregend sind Berichte, denen zufolge türkische Geheimdiente in Deutschland türkischstämmige Oppositionelle ausspionieren. Auch der islamische Dachverband DITIB, der der türkischen Regierung untersteht und in Deutschland viele Moscheegemeinden koordiniert und Vertragspartner der Bundesländer ist, ist Teil des Erdoğanschen Spitzelsystems in Deutschland und verbreitet Erdoğans Propaganda. DIE LINKE hat deshalb die Forderung aufgestellt, die Kooperation der Bundesländer mit dem DITIB einzustellen.

Erdoğan provoziert die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag ein ums andere Mal: Im Mai 2017 untersagte er den Besuch deutscher Parlamentarier bei der Bundeswehr auf dem Tornado-Stützpunkt Incirlik, später auch den Besuch des NATO-Stützpunktes in Konya. Die Linksfraktion hat deshalb gemeinsam mit den Grünen den Abzug der Bundeswehr aus Incirlik gefordert. Mittlerweile hat die Bundesregierung entschieden, den Tornado-Stützpunkt nach Jordanien zu verlegen. Wir hatten gefordert, die Soldatinnen und Soldaten vollständig aus dem Einsatz abzuziehen.

Dass der Besuch in Konya jetzt unter dem Schirm der NATO ermöglicht werden soll, ist kein Ersatz dafür, dass der Bundestag selbstständig entscheiden können muss, die Bundeswehr wo auch immer zu besuchen. Wir sehen darin keine akzeptable „Lösung“ des Problems und fordern deshalb auch den Abzug aus Konya. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Ein Besuch bei der Truppe im Ausland muss jederzeit möglich sein. 

Die Bundesregierung reagiert bislang nicht angemessen auf die Entwicklungen in der Türkei. Nach wie vor ist die Türkei der bevorzugte Partner der Merkel-Regierung. Das liegt vor allem am Flüchtlingsdeal, den die EU auf maßgebliches Betreiben der Bundesregierung mit der Türkei abgeschossen hat: Die Türkei hält die Flüchtlinge von Europa fern. Dafür sehen Bundesregierung und EU großzügig über die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und den Ausbau absoluter Macht des Präsidenten hinweg.

Die Abhängigkeit von der Türkei, in die sich Merkel begeben hat, wirkt fatal: für die Flüchtlinge, die in der Türkei festsitzen, für die Menschen in der Türkei, die unter Erdoğan ihre Freiheit verlieren, und für die Menschen türkischer Herkunft in Deutschland, die Erdoğans langem Arm ausgesetzt sind.

DIE LINKE fordert:

  • Freiheit für Deniz Yücel, Mesale Tolu und alle inhaftierten Journalisten in der Türkei,
  • Freiheit für die Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag,
  • Einfrieren der EU-Beitrittsverhandlungen, Stopp der Vorbeitrittshilfen und Aufkündigung des EU-Flüchtlingsdeals mit der Türkei,
  • Keine Waffen für die Türkei, keine geheimdienstliche, polizeiliche oder gar militärische Zusammenarbeit!
  • Abzug der Bundeswehr aus der Türkei,
  • Ausweisung der türkischen Geheimdienstmitarbeiter,
  • Beendigung der Zusammenarbeit mit DITIB in den Bundesländern.