Jedes Jahr werden mehrere Hunderttausend Sanktionen gegen Leistungsberechtigte in der Grundsicherung (Hartz IV bzw. neu „Bürgergeld“) ausgesprochen. Dies bedeutet eine Kürzung ihrer anerkannten Leistungsansprüche. Immerhin hat sich seit den Corona-Ausnahmen der Jahre 2020 und 2021 und erst recht mit dem Teilmoratorium von August bis Dezember 2022 die Erkenntnis verbreitet, dass Sanktionen schädlich sind. Mit der Bürgergeld-Reform gibt es sie zwar weiterhin, und auch nicht nur in Ausnahmefällen. Sie werden aber begrenzt – stärker noch, als das Bundesverfassungsgericht es vorschrieb. Das ist ein Teil-Erfolg der jahrzehntelangen Kritik von Erwerbsloseninitiativen, Verbänden und auch der LINKEN.
Sanktionen gehören aber komplett abgeschafft. Sie bedeuten regelmäßig eine Unterschreitung des ohnehin kleingerechneten Existenzminimums. Sie nehmen damit Verschuldung, Existenznöte, soziale Isolierung und eine Verschlechterung der Gesundheit in Kauf. Arbeitsmarktpolitisch sind sie kontraproduktiv, denn sie führen oft zu kurz befristeter, schlecht bezahlter Arbeit und verschlechtern die Position von Erwerbstätigen auf dem Arbeitsmarkt.
Dabei beruhen nur die wenigsten Sanktionen auf der Ablehnung einer Arbeit. In den allermeisten Fällen geht es um versäumte Termine (mehr als 70 Prozent der Fälle), häufig auch um die Anzahl der Bewerbungen oder die Teilnahme an einem Bewerbungstraining. In der Praxis treffen Sanktionen vor allem die Schwächsten: Menschen mit wenig Bildung werden häufiger sanktioniert als Menschen mit hoher Bildung – unabhängig von der Arbeitsmotivation. Oft werden Sanktionen zu Unrecht ausgesprochen: Im Dezember 2022 war rund ein Drittel aller Widersprüche und Klagen gegen Sanktionen voll oder teilweise erfolgreich.
Oft wird behauptet, dass Sanktionen nur 3 Prozent der Leistungsbezieher:innen betreffen. Das ist Zahlenspielerei: Diese niedrige Zahl nennt nur die Personen, die in einem Stichtagsmonat betroffen waren (Fachbegriff: „Sanktionsquote“). Aussagekräftiger ist die Jahresquote. Sie gibt an, wie viele Personen innerhalb eines Jahres mindestens einmal sanktioniert waren („Sanktionsverlaufsquote“). Das sind meist doppelt bis dreimal so viele.
Indirekt betreffen Sanktionen alle Arbeitslosen und auch Erwerbstätige: Aus Angst vor dem Sanktionsregime akzeptieren sie niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen. Damit gehören Sanktionen zur Ideologie der „Aktivierung“. Dabei wird unterstellt, dass Arbeitslosigkeit vor allem am Verhalten der Betroffenen liegt. Angeblich würde es allein in der Hand der einzelnen Arbeitslosen liegen, ihre Erwerbslosigkeit zu beenden. Strukturelle Probleme am Arbeitsmarkt, Betriebsschließungen usw. werden ignoriert. Das soziale Problem Massenerwerbslosigkeit wird so zu einem Ergebnis von individuellem Fehlverhalten umgedeutet. Arbeitsuchende werden dadurch drangsaliert, keine hohen Ansprüche zu stellen, sondern auch niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.
Für die berufliche Eingliederung der sanktionierten Menschen sind Sanktionen sogar kontraproduktiv: Nicht nur, weil das Vertrauen zu den Jobcentern und den Vermittlern leidet. Sondern auch, weil sie Menschen in schlechte, nicht nachhaltige Berufe drängt. Die meisten Sanktionierten befinden sich kurz nach einer Sanktion nur in einer niedrig entlohnten Beschäftigung. Mehrere Jahre nach einer Sanktion werden sie schlechter bezahlt, haben seltener einen Beruf, der ihrer Qualifikation entspricht, und sind sogar häufiger arbeitslos als andere Personen, die nicht sanktioniert wurden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2019 entschieden, dass Sanktionen über 60 Prozent des Regelbedarfs verfassungswidrig sind. Außerdem hat das Gericht genauere Vorgaben gemacht, wie Betroffene angehört und wann Sanktionen aufgehoben werden müssen. Damit hat das Bundesverfassungsgericht die bisherige Sanktionspraxis massiv eingeschränkt. Es hat auch ausdrücklich festgehalten, dass ein kompletter Verzicht auf Sanktionen verfassungsrechtlich möglich wäre und diese Grundsatzfrage politisch entschieden werden muss. Das Urteil war insofern ein wichtiger Zwischenerfolg von Betroffenen, Aktivistinnen und Aktivisten, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften und auch von der LINKEN. Sie alle haben Informationen zusammengetragen, die für die Gerichtsentscheidung wichtig waren.
Mit der Bürgergeld-Reform werden die Sanktionen noch weiter eingeschränkt – stärker noch, als das Bundesverfassungsgericht es vorschrieb. Auch das ist ein Teil-Erfolg der jahrzehntelangen Kritik von Erwerbsloseninitiativen, Verbänden und auch der LINKEN.
Trotzdem bleibt es dabei: Sanktionen gehören komplett abgeschafft! Der politische Kampf geht also weiter.
Antrag: "Sanktionen abschaffen – Keine Kürzungen am Existenzminimum vornehmen" von 2022.
Antrag: "Für soziale Garantien ohne Sanktionen" von 2019.