Die Große Koalition scheitert, wie die Vorgängerregierungen an einer umfassenden Pflegereform. Drei Pflegestärkungsgesetze, das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf sowie das Hospiz- und Palliativgesetz bleiben Stückwerk und erkaufen Leistungsverbesserungen mit neuen Ungleichbehandlungen. Sie stellen zusätzlich Weichen in Richtung einer niedrigschwelligen, häuslichen Pflege und der Kapitaldeckung in der Pflege. Die Leistungsausweitungen kompensieren weder den Realwertverlust der Pflegeleistungen von ca. 25 Prozent infolge von gestiegenen Kosten, noch verhindern sie die wachsende Pflegearmut. Schon heute beziehen mehr als 350 000 Menschen Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII, fast zwei Drittel davon sind Frauen.
Das Kernstück der Reformstücke ist die Einführung eines neuen, lange überfälligen Pflegebedürftig-keitsbegriffs zum 01. Januar 2017. Der Pflegebedarf wird anders erfasst, nicht mehr verrichtungsbezogen nach erforderlicher Pflegezeit, sondern ausgehend vom Grad der Selbständigkeit, mit dem ein Mensch mit Pflegebedarf das tägliche Leben noch meistern kann. Demenzerkrankte erhalten jetzt Leistungen der Pflegeversicherung wie diejenigen mit körperlichen Einschränkungen. Die neuen Pflegegrade sind mit veränderten Leistungsansprüchen verbunden – von denen jedoch nicht alle Menschen mit Pflegebedarf gewinnen. Denn die Leistungsausgestaltung bleibt finanziell begrenzt. Bedarfsdeckende Pflege ist unter Kostenvorbehalt nicht möglich.
Leistungsverschlechterungen vorprogrammiert. Benachteiligt werden Menschen in den unteren Pflegegraden, besonders in stationären Einrichtungen und den ab 2017 durchgeführten Neubegutachtungen. In der Hilfe zur Pflege werden Leistungsansprüche eingeschränkt. Denn die Sozialhilfeträger sind aufgefordert, die oft gewünschte Pflege im eigenen Zuhause durch häusliches Pflegegeld sicherzustellen. Familienangehörige, Freunde, Nachbarn und Menschen im bürgerschaftlichen Engagement sollen die Pflege erbringen. Zusätzlich müssen Familienangehörige Einkommen und Vermögen einsetzen, um den Leistungsanspruch ihrer pflegebedürftigen Lebenspartner oder Eltern zu sichern. Der Zugang zu Leistungen professioneller Pflegedienste wird massiv erschwert.
Die Pflegekräfte bleiben gänzlich im Regen stehen. 20 000 zusätzliche Betreuungskräfte entspannen die stressige Arbeitssituation der Fachkräfte nicht. Denn Betreuungskräfte leisten keine originären Pflegetätigkeiten, heben also den Fachkräftemangel nicht auf. Über eine wertschätzende Bezahlung der Pflegekräfte und eine höhere Fachkraftquote verhandeln weiterhin allein die Kostenträger und Leistungserbringer. Die für ein menschenrechtliches Pflegeverständnis entscheidenden Fragen der Personalbemessung und Qualitätskriterien vertagt die Bundesregierung erneut. Dabei ist jetzt schon klar: Der Pflegeaufwand wird steigen, wenn die Pflegearbeit Selbständigkeit und Teilhabe der zu pflegenden Menschen stärken oder sichern will.
DIE LINKE schätzt ein: Nichts wird zukunftsfest, weil die Finanzierung der Pflegeversicherung keine solidarische Grundlage erhält. So verkümmert der emanzipatorische Ansatz des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes zu einer Reform der Begutachtung. So werden überholte familiäre und weibliche Rollenbilder der Sorgearbeit festgeschrieben. So ersetzt niedrigschwellige Versorgung professionelle Fachleistungen und es wächst das Risiko gefährlicher Pflegesituationen. Die finanziellen Belastungen der Menschen mit Pflegebedarf und ihrer Familien werden steigen. Damit wächst die Pflegearmut weiter.
Für DIE LINKE muss jede Zwei-Klassen-Pflege ausgeschlossen werden. Jeder Mensch soll mit seinen Angehörigen selbstbestimmt und ohne ökonomischen Druck entscheiden können, von wem, wo und in welcher Weise er gepflegt werden will. Keine Entscheidung darf vom Geldbeutel, vom Wohnort oder von der Herkunft abhängig sein. Bedarfsdeckende Leistungsangebote müssen wohnortnah und flächendeckend verfügbar sein. Kein Mensch darf gegen seinen Willen in ein Pflegeheim gezwungen werden. Kein Mensch darf schlecht versorgt vereinsamen, wenn er zu Hause gepflegt werden will. Leistungsverbesserungen müssen allen zu pflegenden Menschen gleichermaßen zugutekommen und bedarfsdeckend erfolgen. Die Pflegeversicherung muss zu einer Pflegevollversicherung werden, die alle pflegebedingten Kosten finanziert. Das entlastet die Menschen mit Pflegebedarf von Eigenanteilen. Die Leistungssätze werden auf eine stabile Grundlage gestellt. Regionale Leistungs- und Lohnunterschiede können abgebaut werden. Regionale Beschäftigungspolitik wird reguläre Beschäftigung schaffen. Familiäre Pflege und bürgerschaftliches Engagement werden wieder zusätzlich und freiwillig statt aus Not erbracht. Für Kommunen sinken die Sozialhilfeausgaben. Die Zwei-Klassen-Pflege kann durch deutliche Leistungsverbesserungen für alle abgebaut werden.
Pflegende Angehörige sind dauerhaft zu unterstützen. Niemand soll seinen Beruf aufgeben müssen oder als pflegende Angehörige selbst erkranken oder verarmen. Pflegekräfte müssen besser entlohnt werden und brauchen gute Arbeitsbedingungen. Der Pflegemindestlohn muss erhöht und auf weitere Pflegetätigkeiten ausgedehnt werden. Um den Pflegeberuf attraktiver zu machen, wird die Pflegeausbildung als integrierte Ausbildung mit einer zweijährig gemeinsamen und einer einjährig ergänzenden spezialisierten Fachausbildung ausgestaltet. Fort- und Weiterbildungen werden für die Pflegekräfte kostenfrei.
Wir wollen eine aktive Rolle der Kommunen. Denn gute Pflege wird vor Ort erbracht. Dazu müssen Bund und Länder in die Pflege als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge investieren. Das entlastet die Menschen mit Pflegebedarf von Investitionskosten. Die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte verbessern sich. Wohnortnahe Unterstützungsnetzwerke können aufgebaut und altersgerechte, alternative Wohnformen für Menschen mit Pflegebedarf gefördert werden.
Bedarfsdeckende Pflege gelingt nur, wenn die Pflegeversicherung stabil und zukunftsgerecht finanziert wird. Mit der Solidarischen Pflegeversicherung wollen wir für soziale Gerechtigkeit sorgen und die Pflegeversicherung dauerhaft stabil finanzieren. Alle Menschen – auch heute privat Versicherte – zahlen entsprechend ihrem Einkommen ein. Alle Einkommen und Einkommensarten werden verbeitragt. Arbeitgeber übernehmen die Hälfte der Pflegeversicherungsbeiträge ihrer Beschäftigten auf Löhne und Gehälter. So können die notwendigen Leistungsausweitungen solidarisch finanziert werden und die Pflegearmut beendet werden.