Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich bringe Sie nicht in Verlegenheit, indem ich Ihnen jetzt auch Blumen schenke. Es würde Ihnen sicherlich schwer fallen, sich dazu zu verhalten.
Ich finde es ungerecht, dass Sie am Anfang Ihrer Rede nur erwähnt haben, dass Sie ein Jahr im Amt sind; unser Herr Bundestagspräsident ist ja auch ein Jahr im Amt. Wenn schon, dann muss auch ihm gratuliert werden.
(Beifall bei der LINKEN und der FDP Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Länger!)
Ich habe das eigentlich in der Hoffnung gesagt, einmal Beifall von der Union zu bekommen; aber das ist mir nicht vergönnt.
(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Daran müssen Sie mehr arbeiten!)
Zum einjährigen Jubiläum Ihrer Kanzlerschaft, Frau Merkel, möchte ich zwei würdigende Bemerkungen am Anfang machen:
Erstens. Da Sie sich nicht jeden Tag erklären, müssen Sie sich im Unterschied zu Ihren Vorgängern auch nicht so oft korrigieren. Das finde ich ganz geschickt.
Zweitens. Es gibt eine kleine Gruppe von leicht arroganten CDU-Ministerpräsidenten, die Ihnen das Amt nicht gönnen. Ich finde, diese haben Sie ganz gut im Griff. Das muss man auch einmal sagen.
(Beifall bei der LINKEN Heiterkeit bei der FDP)
Frau Bundeskanzlerin, Sie sind aber auch eine Frau und stammen aus Ostdeutschland. Sie haben das bisher wenig gezeigt und diesbezüglich wenig getan. Es ist ganz typisch, dass in Ihrer Rede nicht ein Wort zur Gleichstellung der Geschlechter gefallen ist und Sie auch gar nichts zur Situation in Ostdeutschland gesagt haben.
(Beifall bei der LINKEN Zurufe von der SPD: Oh! Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deshalb habt ihr auch eine quotierte Doppelspitze! - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Von einer Fraktion mit zwei Kerlen an der Spitze ist das eine gute Analyse!)
Ja, da haben Sie völlig Recht. Wenn irgendjemand etwas für Gleichstellung in der Gesellschaft getan hat, dann waren es vielleicht die Grünen, die SPD und die Linken, aber ganz bestimmt nicht die Union. Da brauchen wir bloß einen Blick in die Geschichte zu werfen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Fangen wir mit der Außenpolitik an: Sie, Frau Bundeskanzlerin, sind aus mir unerklärlichen Gründen irgendwie mit Präsident Bush befreundet. Wir können aber feststellen, dass dieser gerade eine Quittung für seine Kriegspolitik bekommen hat. Zwar etwas spät, aber bei den Wahlen zum Senat und zum Repräsentantenhaus hat die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung nun Nein zu seiner Kriegspolitik gesagt.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie haben ja am Schluss Ihrer Rede zu Recht auch über Umweltfragen gesprochen. Die USA stürzen uns in eine Klimakatastrophe. Ich möchte gerne wissen, ob Sie ihm das auch so offen sagen bzw. ob die Europäische Union ihm gegenübertritt und sagt, dass es so einfach nicht weitergeht. Die größte Industrienation kann diesbezüglich nicht machen, was sie will, weil sie auf diese Weise die ganze Menschheit in eine Katastrophe stürzt.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Zurück zur Kriegspolitik: Der Irakkrieg ist doch in jeder Hinsicht gescheitert. Es ging um die Sicherung von Erdölvorkommen und um die Bekämpfung des Terrorismus. Wie kann man denn mit der Höchstform des Terrorismus, nämlich mittels Krieg, Terrorismus bekämpfen? Man erreicht so doch nur neue Bereitschaft zu Terrorismus. Das beweist der Irak täglich.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Selbst der Premierminister Großbritanniens, Tony Blair, fängt ja jetzt an, selbstkritische Töne von sich zu geben leider viel zu spät. Es gab aber auch kluge Politiker auf der Welt, die immer gegen den Irakkrieg waren und immer schon gesagt haben, mittels Krieg lassen sich die Probleme und Konflikte nicht lösen, sondern sie verschärfen sich nur. Der Irak ist das beste Beispiel dafür.
Sie haben auch Afghanistan angesprochen und über die relative Ruhe im Norden berichtet. Was nutzt es denn, wenn in einem Teil eines Landes relative Ruhe herrscht, sich aber im anderen Teil alles verschärft? Zugleich habe ich gehört, dass Sie gesagt haben, Sie wollen die Bundeswehr nicht in den Süden schicken. Wir werden Sie beim Wort nehmen, denn es wäre ein großer Fehler, wenn wir Soldaten auch noch dorthin schickten.
Lassen Sie mich noch ein anderes Thema erwähnen, das in letzter Zeit in Deutschland eine Rolle spielt. 200 000 deutsche Soldaten waren oder sind in Kriegseinsätzen.
(Dr. Peter Struck (SPD): Auslandseinsätze heißt das, nicht Kriegseinsätze!)
- Wie Sie das nennen, Herr Struck, ist mir egal; aber es sind Kriegseinsätze. Wenn Sie einmal nach Afghanistan, in den Irak usw. schauen, sehen Sie, wo auf dieser Welt Kriege stattfinden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Dr. Peter Struck (SPD): Dummes Zeug!)
Die Soldaten kommen mit Erlebnissen zurück, und zwar mit Erlebnissen, die sie in Deutschland nicht hätten und nicht haben. Welch eine Verrohung dort stattfindet, haben Sie an den Bildern gesehen, die Soldaten mit Leichenköpfen zeigen. Darauf, dass die Soldaten psychisch verändert nach Deutschland zurückkommen, sind wir überhaupt nicht vorbereitet. Wir haben noch nicht die Erfahrung wie die Sowjetunion mit den Afghanistansoldaten oder die USA mit den Vietnamsoldaten. Aber wir müssen uns darauf vorbereiten. 200 000 Soldaten in solchen Einsätzen verändern eine Gesellschaft und Sie wollen das nicht einmal zur Kenntnis nehmen, geschweige denn Mittel dafür zur Verfügung stellen, um dagegen etwas zu tun.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Sie haben über die Europäische Union gesprochen, Frau Bundeskanzlerin, und auch die Verfassung erwähnt. Ich hätte gerne einmal eine Auskunft von Ihnen: Was streben Sie in Bezug auf die europäische Verfassung an? Sie müssen doch das Nein aus Frankreich und den Niederlanden ernst nehmen. Wenn man das Votum ernst nimmt, kann man doch nicht nur darüber nachdenken, ob man das Ding anders nennt oder ob man einen Satz weglässt, sondern muss eine Verfassung für Europa schaffen, die die Mehrheit der Bevölkerung in den Ländern akzeptiert. Das wäre ein Gewinn. Nicht gegen die Bevölkerung, sondern mit der Bevölkerung muss eine Verfassung gestaltet werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Wir werden dafür konkrete Vorschläge unterbreiten.
Dabei geht es um Freiheitsrechte, aber auch um Sozialrechte; denn die Menschen in Europa sind heute in großem Maße sozial verunsichert. Sie wollen kein Europa, das so organisiert ist, dass sich mit jedem Beitritt die soziale Frage neu stellt, und zwar in dem Sinne, dass alles nach unten geht. So erreicht man keine Begeisterung für Europa; wohl aber erreichen die Rechtsextremen eine Begeisterung für den früheren Nationalstaat.
Das erleben wir doch auch in Deutschland. Wenn wir hier alle die europäische Integration wollen das ist ja ein Vorteil dieses Parlaments, dass wir sie alle wollen , dann müssen wir auch etwas dafür tun, dass die europäische Integration wesentlich mehr Akzeptanz in den Bevölkerungen findet. Dann können wir nicht über die Bevölkerungen hinweggehen, sondern müssen die Verfassung mit ihnen zusammen gestalten.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Bund, Länder und Kommunen haben Aufgaben, auch in Deutschland, und die Kassen sind ziemlich leer. Das hat Folgen. Wenn wir nicht nur das letzte Jahr, sondern mehrere zurückliegende Jahre betrachten, können wir feststellen, dass die Ausgaben für Bildung und Kultur, für Wissenschaft und Forschung sowie für Investitionen in Infrastruktur gesunken sind.
(Dr. Peter Struck (SPD): Alles falsch! - Petra Merkel (Berlin) (SPD): Das stimmt doch gar nicht!)
Das gilt auch für die Justiz. Das, was wir jetzt in Siegburg erlebt haben, ist natürlich ein Ausdruck dessen, dass es zu wenig qualifiziertes Personal gibt. Anders ist es doch nicht denkbar, dass dort jemand 20 Stunden gefoltert wird und niemand das merkt! Das sind Strukturschwächen, die wir uns nicht leisten können.
Hinzu kommt, dass wir die Justiz jetzt den Ländern übergeben. Das heißt, die Länder entscheiden je nach Kassenlage, wie viel Geld sie für eine Justizvollzugsanstalt zur Verfügung stellen.
(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Tun sie ja jetzt schon!)
Mir wird schon jetzt ganz schlecht, wenn ich darüber nachdenke, wie das dann in den ärmeren Bundesländern aussehen wird.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Also brauchen wir hier eine andere Herangehensweise.
Sie haben festgestellt, Frau Bundeskanzlerin, Deutschland stehe besser da. Dann müssen wir einmal definieren: Wer ist Deutschland? Fragen Sie doch einmal einen Langzeitarbeitslosen, ob er empfindet, dass er besser dasteht. Fragen Sie einmal einen Jugendlichen, der keinen Ausbildungsplatz bekommt, ob er findet, dass er besser dasteht. Verstehen Sie: Man muss das immer konkret untersuchen. Ich weiß, es geht Leuten besser: den Reichen und den Besserverdienenden; das ist wahr.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber den Arbeitslosen geht es nicht besser und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch nicht.
(Zuruf von der SPD: Billiger geht es nicht!)
- Ich werde Ihnen gleich belegen, dass ich Recht habe.
Sie haben dafür gesorgt, dass die Kassen im Bund, in den Ländern und in den Kommunen leer sind, indem Sie die Steuereinnahmen immer weiter gesenkt haben. Sie können doch eine Tatsache nicht bestreiten: Deutschland hat bei den Steuereinnahmen den vorletzten Platz in der Europäischen Union; nur die Slowakei hat noch geringere Steuereinnahmen als Deutschland. Es ist für ein wirtschaftlich starkes Land geradezu blamabel, was wir uns hier leisten.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die durchschnittliche Quote der Steuern und Abgaben, also der berühmten so genannten Lohnnebenkosten, der Sozialabgaben der Unternehmen, beträgt EU-weit 40 Prozent und in Deutschland 35 Prozent. Selbst dort sind wir unterdurchschnittlich. Auch das muss man sagen.
(Beifall bei der LINKEN)
Nun können Steuern sehr verschieden sein. Wir reden zwar immer allgemein über Steuern. Aber es gibt beispielsweise einen Unterschied zwischen Unternehmenssteuern und Mehrwertsteuer. Es ist spannend, sich einmal die Anteile der einzelnen Steuerarten anzuschauen. Die Einkommen- und Unternehmenssteuern machen in Deutschland einen Anteil von 9,5 Prozent aus.
(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Das stimmt nicht!)
Das müssen die Bürgerinnen und Bürger wissen; alles andere bezahlen sie. Im EU-Durchschnitt liegt der Anteil bei 13,4 Prozent und in Dänemark bei 29,5 Prozent. Vor Schröder lag der Anteil in Deutschland übrigens bei 11,2 Prozent. Jetzt liegt er, wie gesagt, bei 9,5 Prozent. Das ist die Wahrheit.
Professor Jarass hat errechnet, dass durch die Steuerreform von SPD und Grünen seit 2001 jährlich 21 Milliarden Euro weniger eingenommen werden.
(Dr. Peter Struck (SPD): Dann müssen die Leute weniger Steuern bezahlen!)
Jetzt setzt die neue Regierung das Ganze verschärft fort. Ich sage deshalb „verschärft“, weil Sie ab dem Jahr 2007 durch die zusätzlichen Belastungen wie Erhöhung der Mehrwertsteuer, Reduzierung der Pendlerpauschale und Halbierung des Sparerfreibetrags sowie durch die anstehenden Erhöhungen der Renten- und Krankenversicherungsbeiträge die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner sowie die Arbeitslosen mit 30 Milliarden Euro jährlich belasten werden. Trotz steigender Steuereinnahmen und eines Überschusses der Bundesagentur für Arbeit bitten Sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner sowie Arbeitslose weiter zur Kasse und belasten sie im nächsten Jahr mit 30 Milliarden Euro. Das ist nicht hinnehmbar. Trotzdem machen Sie es.
((Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Ich spreche also deswegen davon, dass Sie die Politik der vorherigen Regierung verschärft fortsetzen, weil es noch unsozialer wird, indem Sie Konzernen und den Reichen in unserer Gesellschaft noch mehr Geschenke machen.
(Beifall bei der LINKEN)
Gleichzeitig planen Sie eine Unternehmensteuerreform das so etwas immer gleichzeitig geschieht, ist auffällig , wonach Sie ab dem Jahr 2008 jährlich 30 Milliarden Euro brutto weniger einnehmen. Netto macht dies 10 Milliarden Euro aus.
(Dr. Peter Struck (SPD): Quatsch!)
Das haben Gewerkschaften und viele andere errechnet. Der Bundesfinanzminister spricht von 5 Milliarden Euro und andere, die es genauer gerechnet haben, sprechen, wie gesagt, von 10 Milliarden Euro.
(Dr. Peter Struck (SPD): Quatsch!)
Wir sollten jetzt keinen Streit um die genaue Zahl führen.
21 Milliarden Euro Steuererleichterungen gab es durch die Reformen von SPD und Grünen und jetzt kommen noch einmal 10 Milliarden Euro durch die Reformen der großen Koalition hinzu. Das macht zusammen etwas über 30 Milliarden Euro. Das heißt, die Konzerne die Unternehmensteuerreform wird sich überwiegend zugunsten der Konzerne und viel weniger zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen auswirken bekommen, wenn man die Effekte der Steuerreformen der Regierung Schröder und Ihrer Regierung, Frau Merkel, zusammennimmt, zusätzlich 30 Milliarden Euro. Aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner sowie die Arbeitslosen müssen letztlich auf diese 30 Milliarden Euro verzichten. Das ist eine direkte Umverteilung von unten nach oben, wie es sie so in der Geschichte kaum gegeben hat.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die Mehreinnahmen werden viel zu wenig für Wissenschaft, Forschung, Bildung und Kultur genutzt. Ich muss es immer wieder sagen: Deutschland hat bekanntlich kaum Erdöl- und Goldvorkommen. Wir können hier keine Wirtschaftspolitik wie Bahrain machen. Wir müssen auf andere Dinge setzen. Die Stärke Deutschlands bestand immer darin, eine sehr gut ausgebildete Bevölkerung zu haben. Auch wenn Sie es nicht gerne hören wollen, sage ich Ihnen: Die DDR hat ihre Jugendlichen gut ausgebildet und die Bundesrepublik hat ihre Jugendlichen gut ausgebildet. Jetzt sind wir vereint und packen es nicht mehr. Wir sind unterdurchschnittlich geworden in Europa. Das ist einfach nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die Bildung ist doch unserer eigentliche Stärke.
Die Steuereinnahmen des Bundes steigen um 12 Milliarden Euro. Es gibt einen Überschuss bei der Bundesagentur für Arbeit. Wenn wir die Mehreinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen zusammennehmen, haben wir sogar ein Plus von 33 Milliarden Euro. Erklären Sie doch einmal einem Pendler, warum er angesichts eines flexiblen Arbeitsmarkts weniger Pendlerpauschale bekommt, obwohl der Staat 12 Milliarden Euro mehr einnimmt.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Weil er immer noch im zweistelligen Milliardenbereich Schulden macht!!)
Das ist einfach grob ungerecht. Gerade Sie von der Union plädieren jeden Tag für einen flexiblen Arbeitsmarkt, indem Sie sagen: Man muss sich damit abfinden, dass man beispielsweise in Hessen ausgebildet wird, in Nordrhein-Westfalen einen Job bekommt und fünf Jahre später nach Thüringen wechselt. Die Menschen müssen also immer größere Entfernungen in Kauf nehmen. Trotzdem kürzen Sie die Pendlerpauschale. Das ist die Realität.
Sie sagen dann, die Leute sollten mehr Kinder kriegen. Aber gleichzeitig gibt es 16 verschiedene Bildungssysteme. Die Menschen wären also total verantwortungslos, wenn sie mit schulpflichtigen Kindern zweimal in ein anderes Bundesland ziehen würden.
(Beifall bei der LINKEN)
Ihre Politik hat eben keine Logik. Auch konservative Politik muss doch zumindest eine Logik haben; aber diese ist nicht zu erkennen.
Die Körperschaftsteuer möchte ich gesondert erwähnen. Sie ist eine typische Steuer für Kapitalgesellschaften und hat mit den Inhaberunternehmen gar nichts zu tun. Sie betrug in Deutschland unter Helmut Kohl daran darf ich die Union erinnern 45 Prozent. Dann hat Herr Schröder sie auf 25 Prozent gesenkt. Nun will die große Koalition sie auf 15 Prozent senken. Ich sage dazu nur eines damit wir uns das hübsch merken : In den USA beträgt die Körperschaftsteuer 35 Prozent, in Frankreich 33 Prozent und in Großbritannien 30 Prozent.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wie sieht das mit der Gewerbesteuer aus? Zuruf von der SPD: Wie ist das mit der Bemessungsgrundlage?)
Also steht eines fest: Wir machen den anderen Ländern Konkurrenz und nicht die anderen Länder uns. Wir üben Druck aus, sodass die anderen Länder ihre Körperschaftsteuer senken müssen, damit es auch dort noch sozial ungerechter zugeht. Was Sie hier leisten, ist einfach nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der LINKEN Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie sind ein populistischer Demagoge! - Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Das ist einfach Unsinn!)
Was machen die Konzerne? Sie halten Pressekonferenzen ab und verhöhnen die Politik. Vertreter der Deutschen Bank, der Allianz usw. sagen: Wunderbar, wir bedanken uns. Wir haben im letzten Jahr den größten Gewinn in unserer Geschichte gemacht. Dafür entlassen wir 8 000 oder 10 000 Leute. Jetzt können wir es uns ja leisten, Abfindungen zu zahlen. Dann sind wir sie los. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Es gibt, wie wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, nicht mehr Arbeitsplätze, sondern weniger.
(Beifall bei der LINKEN)
Jetzt komme ich auf die Zahl der Arbeitslosen zu sprechen. Sie ist zurückgegangen. Das haben Sie erwähnt; das hätte auch ich an Ihrer Stelle getan; das ist normal. Aber ich weise auf zwei Dinge hin: Auf der einen Seite hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen das haben Sie nicht erwähnt in derselben Zeit um 55 000 erhöht. Sie haben auch nicht erwähnt, dass die Zahl der 1 Euro-Jobber zugenommen hat. Diese zählen ja nicht als Arbeitslose in der Statistik; das muss man hinzufügen. Sie haben auch nicht erwähnt, dass es noch mehr geringfügig Beschäftigte gibt. Es sind inzwischen fast 5 Millionen. Das sind doch fast Arbeitslose. Wenn man das alles mitberücksichtigt, dann sieht man, dass die Arbeitslosenzahl ganz anders ausschaut.
(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Richtig!)
Sie haben auch nicht erwähnt, wie hoch die Arbeitslosigkeit im Osten ist und welche Probleme wir hier haben. Auf der anderen Seite gibt es eine Zahl, die unwiderlegbar ist. Im Vergleich zu 2002 gibt es 1 Million Menschen weniger in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Das ist ein Abbau, an dem noch nichts korrigiert worden ist, weil es dafür keine Politik gibt.
Noch eine Bemerkung zu den Arbeitslosen. Jetzt gibt es ja einen Vorschlag von Herrn Rüttgers. Es ist wirklich spannend, dass ein CDU-Ministerpräsident vorschlägt, dass ältere Arbeitslose länger Arbeitslosengeld I bekommen sollen. Spannend ist erst einmal der Vorschlag an sich. Dann schreit aber der SPD-Vorsitzende gleich: Kommt gar nicht infrage! Jetzt rufen auch die CDU und viele Ministerpräsidenten: Kommt gar nicht infrage! Das alles ist absurd. Ich hätte mir vorgestellt, dass alle sagen: Das ist eine völlig vernünftige Idee. Jetzt müssen wir uns nur über das Wie unterhalten.
Was Herr Rüttgers vorschlägt, ist allerdings abenteuerlich. Zum einen sagt er, ein längeres Arbeitslosengeld solle man erst nach 40 Versicherungsjahren bekommen. Ich bitte Sie: 40 ununterbrochene Versicherungsjahre! Diese Hand voll Leute, auf die das zutreffen würde, kann er alleine bezahlen; das ist nicht das Problem. Ein Problem besteht bei denjenigen, die nach 30 oder 35 Jahren arbeitslos werden. Aber das ist nur ein Problem.
Zum anderen sagt er nämlich, den längeren Bezug sollten andere Arbeitslose bezahlen. Ich muss Ihnen sagen: Das ist völlig indiskutabel.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Bei dem derzeitigen Überschuss bei der Bundesagentur für Arbeit zudem gibt es höhere Steuereinnahmen muss man dieses Geld nutzen, um zu sagen: Wir zahlen länger Arbeitslosengeld I an Arbeitslose, die lange in die Versicherung eingezahlt haben. Aber dazu ist Rüttgers nicht bereit. Er kommt wirklich nur auf die Idee, zu sagen: Andere Arbeitslose sollen das bezahlen.
Dieser Vorschlag hat überhaupt nichts mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Nur die Idee ist richtig, nämlich dass diejenigen, die länger eingezahlt haben, auch länger Arbeitslosengeld I beziehen müssen. Dafür streiten wir. Deshalb sagen wir noch einmal: Hartz IV muss weg; denn Hartz IV ist Armut per Gesetz.
(Beifall bei der LINKEN)
Das werden Sie immer wieder hören.
60 Prozent der Betroffenen das hat die Statistik jetzt erwiesen geht es schlechter als vorher. 40 Prozent der Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger geht es gleich, im Einzelfall auch einmal besser; dagegen sagt keiner etwas. Aber gegen die Schlechterstellung der 60 Prozent sagen wir eine Menge.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Frau Bundeskanzlerin, wenn wir Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen, dann müssen wir neue Debatten führen. Wir brauchen eine gerechtere Verteilung der Arbeit. Wir müssen wieder über Arbeitszeitverkürzung nachdenken. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Es gibt doch nicht zu wenig Arbeit; es gibt nur zu wenig bezahlte Arbeit. Wir sollten einmal darüber nachdenken, ob wir vielleicht die Hausfrauen- oder Hausmännertätigkeit und die Betreuung von Kindern nicht anders in unser Bewusstsein aufnehmen, in der Form, dass das eine wirklich notwendige Tätigkeit ist. Wir müssen über vieles nachdenken, wenn wir die Arbeitslosigkeit überwinden wollen.
In den Bereichen, in denen es keinen privaten Gewinn zu erwirtschaften gibt, müssen wir Arbeit schaffen. Das habe ich schon einmal gesagt. Wir dürfen dabei nicht den öffentlichen Dienst ausweiten, sondern wir müssen eine öffentlich geförderte Wirtschaft aufbauen. Als Beispiel nenne ich den Förderunterricht für besonders begabte Kinder oder für Kinder, denen es in der Schule besonders schwer fällt. Das sind Bereiche, die sich für private Anbieter nicht lohnen, hier entstehen Arbeitsplätze nicht von selbst. Hier muss die Politik aktiv werden und Arbeitsplätze schaffen.
Ich möchte eine weitere Bemerkung zur Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft machen. Seit 2001 speist sich die Steigerung des Volkseinkommens zu 85 Prozent Herr Westerwelle, merken Sie sich das bitte aus der Steigerung der Unternehmens- und Vermögenseinkommen und nur zu 15 Prozent aus der Steigerung des Einkommens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist eine Riesenungerechtigkeit; denn die Zahl der einen ist viel geringer als die Zahl der anderen. Die einen bekommen jedoch 85 Prozent, die anderen nur 15 Prozent. Zwischen 2004 und 2005 sind die Löhne und Gehälter erstmals um 6 Milliarden Euro gesunken. Einen solchen Rückgang hat es bis dahin noch nie gegeben. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen sind im gleichen Zeitraum um 22 Milliarden Euro gestiegen. Ungerechter kann es überhaupt nicht zugehen!
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Wenn Sie gegen diese Ungerechtigkeit nichts unternehmen, dann werden Sie niemals als sozial gelten, und zwar zu Recht.
Nun haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, den Ansatz Ihrer Gesundheitsreform beschrieben.
(Joachim Poß (SPD): Schließen wir die Löhne ab oder machen das die Gewerkschaften?)
- Auch die Gewerkschaften haben ein paar Fehler gemacht, aber die offizielle Politik Ihrer Regierung hieß immer: Lohnsenkung, Lohnsenkung, Lohnsenkung. Das sei die einzige Chance, um wirtschaftlich stärker zu werden. Sie sind für den jetzigen Zeitgeist verantwortlich.
(Beifall bei der LINKEN Joachim Poß (SPD): Erzählen Sie, was sie machen!)
Meine Redezeit ist begrenzt, deshalb kann ich nicht viel zu Ihrer Gesundheitsreform sagen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU Steffen Kampeter (CDU/CSU): Gott sei Dank!)
- Ich wusste, dass ich es schaffen würde, einmal Beifall von der CDU/CSU zu erhalten, und bin dankbar. Ich habe das gern.
Zur Gesundheitsreform sage ich Ihnen: Das ist ein Gemurkse, daraus wird nichts mehr. Es ist doch klar: Sie wollten die Kopfpauschale, die anderen eine Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. Dazwischen ist kein Kompromiss möglich. Es wäre besser gewesen, Sie hätten es bleiben lassen, weil es gemeinsam nicht zu packen ist.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie sagen, Sie machen eine Reform für die Versicherten. Darüber kann man nur lachen, Frau Bundeskanzlerin.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Versicherten werden schon im nächsten Jahr höhere Beiträge bezahlen. Wenn erst einmal der komische Fonds gebildet ist, gibt es nur noch eine Richtung: Der Beitragsanteil der Unternehmen darf nicht erhöht werden, aber die Versicherungen dürfen sich weiterhin an die Versicherten halten und deren Beiträge erhöhen. Was soll denn dabei für die Versicherten herausspringen? Entweder müssen sie mehr bezahlen oder sie erhalten weniger Leistungen oder beides.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Außer der Pharmaindustrie gibt es niemanden, der Ihrer Gesundheitsreform zustimmt. Doch auch die Pharmaindustrie lobt Ihre Reform nicht, sondern schweigt nur dazu. Über diese Tatsache sollten Sie auch einmal nachdenken; denn wenn die Pharmaindustrie meckern würde, dann wäre, so meine ich, an Ihrer Reform etwas dran.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir haben in letzter Zeit in Deutschland sehr viel über die Armutsschicht, die Unterschicht genannt wird, diskutiert. Es stimmt, es gibt diese Schicht und sie wächst. Diese Schicht wählt zu einem kleinen Teil noch die SPD, zu einem bestimmten Teil meine Partei, aber zu einem größer werdenden Teil die NPD. Das muss uns ernsthaft Sorgen machen. Das heißt nämlich, diese Menschen fühlen sich ausgegrenzt. Sie haben keine Beziehungen mehr zu unserer Demokratie und glauben nicht daran, dass wir, und zwar wir alle, ihre Probleme lösen können. Viele dieser Menschen wählen natürlich gar nicht, auch das weiß ich. Dies ist für eine Gesellschaft ein sehr gefährlicher Vorgang.
Frau Bundeskanzlerin, ich habe von Ihnen nichts dazu gehört, welche Maßnahmen Sie ergreifen wollen, um die so genannte Unterschicht, die Armutsschicht, Schritt für Schritt zu überwinden, damit es in Deutschland keine Armut mehr gibt. Die Überwindung der Armut müsste Ihr Ziel als Bundeskanzlerin sein.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Ich sage Ihnen voraus, was passieren wird: Der Unterschicht können Sie eines Tages nichts mehr nehmen, weil sie nichts mehr hat. An die Reichen und die Vermögenden trauen Sie sich nicht heran. Die Steuerreform wird wieder nur die Großaktionäre reicher machen.
(Dr. Peter Struck (SPD): Jetzt ist es aber gut!)
Das ist alles, was dabei herauskommen wird. Vielleicht wollen Sie an die Reichen auch nicht heran. Sie werden sich also an die Mittelschicht halten,
(Joachim Poß (SPD): Quatsch mit Soße!)
Sie werden die Normalverdiener immer schlechter stellen. Wenn Sie aber die Mittelschicht einer Gesellschaft schrittweise zerstören
(Joachim Poß (SPD): Der redet wirklich wie ein Blinder von der Farbe!)
das passiert , gibt es zwischen oben und unten keine Kommunikation mehr.
(Joachim Poß (SPD): Von nichts hat er Ahnung!)
Die Mittelschicht kann nach unten und nach oben kommunizieren. Sie hat Illusionen, wie sie selber nach oben kommt, und Angst davor, nach unten zu kommen. Das alles macht sie für bestimmte Fragen sehr sensibel. Ich sage Ihnen als Linker, dass es falsch ist, die Mittelschicht der Gesellschaft zu zerstören, weil das die Kommunikation innerhalb der Gesellschaft zerstört.
(Beifall bei der LINKEN - Joachim Poß (SPD): Sie sind ein selbst ernannter Linker!)
Lassen Sie mich noch etwas zum Osten sagen.
(Joachim Poß (SPD): Salonsozialist!)
Wir haben keine Vereinigungspolitik. Wir hatten nur eine Einheitspolitik. Niemand hat etwas dafür getan, dass sich Strukturen im Westen etwa durch die Übernahme von 5 Prozent der Oststrukturen verändern. Das wurde immer arrogant abgetan. Es hätte jedoch etwa bei Kindertagesstätteneinrichtungen Sinn gemacht. Es hätte Sinn gemacht, an Schulen eine stellvertretende Direktorin oder einen stellvertretenden Direktor für außerunterrichtliche Tätigkeiten zu haben. Es hätte Sinn gehabt, sich vielleicht die Strukturen der Polikliniken anzusehen und darüber nachzudenken, ob man sie im Westen einführt. Ich sage Ihnen auch, warum. Damit die Frau und der Mann in Passau, die Frau und der Mann in Kiel mit der Einheit das Erlebnis verbunden hätten, dass sich ihre Lebensqualität durch die Übernahme von drei, vier oder fünf Strukturen aus dem Osten erhöht hat. Ein solches Erlebnis ist niemandem im Westen gegönnt worden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Das macht deren Einstellung aus, was ich auch verstehen kann.
Deshalb sage ich: Wir hatten eine Einheit, aber keine Vereinigung. Gerade von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, hätte ich erwartet, dass Sie diesbezüglich Zeichen setzen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, Sie denken an die verbleibende Redezeit in der eigenen Fraktion?
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ich denke nur an meine Fraktion, Herr Präsident, gelegentlich auch an etwas anderes. Lassen Sie mich noch den einen Satz sagen.
Sie müssen einen Fahrplan aufstellen, Frau Bundeskanzlerin, und sagen: Ich will die Angleichung der Löhne. Ich will, dass man für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhält und nicht länger arbeitet für weniger Geld, dass man die gleiche Rente für die gleiche Lebensleistung erhält.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie müssen Ihre Politik umdrehen. Sie müssen für Frieden kämpfen, für Steuergerechtigkeit, das heißt, auch bei den Konzernen und Reichen abkassieren, und für deutlich mehr soziale Gerechtigkeit. Das hilft dann auch den kleinen und mittleren Unternehmen, weil Sie damit die Kaufkraft stärken.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Joachim Poß (SPD): Quatsch mit Soße!)
Wir hatten eine Einheit, aber keine Vereinigung
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von
Gregor Gysi,