Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Die Gründe, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen zu befürworten, haben sich für mich aus wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritten abgeleitet. Die Expertenanhörungen haben mich darin bestärkt. In Diskussionen, auch in meiner Fraktion, ging es jedoch nur an zweiter Stelle um die Perspektiven medizinischer Stammzellforschung. Das verwundert mich, ehrlich gesagt, bis heute ein wenig.
Auch an der jüngsten Anhörung hat mit Professor Schöler nur ein einziger Stammzellforscher teilgenommen. Infolge dieser Schwerpunktverlagerung wurden vor allem Bewertungen im Umfeld der Stammzellforschung diskutiert. Fachdisziplinären Gründen stehen nunmehr ethische und verfassungsrechtliche Argumente im Pro und Kontra einer Stichtagsänderung zur Seite. Kennzeichnend ist über alles, dass es Gewissheiten weder aus Sicht der Stammzellforschung noch aus Sicht von Ethik und Verfassungsrecht gibt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD)
Werte und Rechtsgüter stehen sich gegenüber. Daraus folgende Konflikte und Widersprüche bedürfen also weiterhin eines gesellschaftlichen Diskussions- und Handlungsspielraumes. Insofern muss der säkulare, plurale Rechtsstaat mit Blick auf die embryonale Stammzellforschung einen schlüssigen politischen wie auch rechtlichen Kompromiss ermöglichen. Statt jedoch einen „schonenden Ausgleich“, wie das die Experten bezeichnet haben, mit einer Stichtagsverschiebung zu finden, wird auch in dieser Debatte der Eindruck erweckt, als könne es in der Frage der Stichtagsänderung keinen Kompromiss geben. Allerdings ist - einige haben das hier auch schon gesagt - das geltende Stammzellgesetz ein lebendiger und sich bewährender Kompromiss.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Diesen sollten wir erhalten, eben weil noch so viele Fragen offen und zu klären sind. Und so werben Abgeordnete meiner Fraktion und auch ich persönlich für diesen Kompromiss, obwohl wir die Ersetzung des Stichtages durch eine Einzelfallprüfung eigentlich für konsequenter hielten.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der CDU/CSU)
Zugleich richtet sich an die Gegner der Stammzellforschung aus meiner Sicht die Frage, weshalb sie die Gewinnung humaner embryonaler Stammzellen und somit den Verlust von Embryonen verhindern wollen, indem sie das Stammzellgesetz revidieren. Experten haben doch wiederholt darauf hingewiesen, dass im Stammzellgesetz nicht diese Handlung geregelt wird. Es geht im Gesetz nicht um Embryonen, sondern um den Import von Stammzelllinien.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD sowie der Abg. Katherina Reiche [Potsdam] [CDU/CSU])
Nicht die Verwendung von Embryonen wird bestimmt, sondern die Verwendung von Zellen, die in der Vergangenheit und in einem anderen Land aus überzähligen Embryonen gewonnen wurden.
(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)
Diese Rechtslage bleibt auch bei einer Änderung des Stichtages erhalten.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)
Das Verbot des Embryonenverbrauchs für die Forschung leitet sich - völlig zu Recht angemerkt - aus dem Embryonenschutzgesetz ab. Dieses allerdings - das muss ausdrücklich gesagt werden - verbietet aber nicht das Verwerfen von Embryonen an sich. Werden diese nämlich nicht zum Zwecke der Fortpflanzung einer Frau übertragen, dann besteht kein Erhaltungsgebot. Erst für den Zweck der Forschung wurden ein Erhaltungsgebot und ein Verwendungsverbot bestimmt. Dennoch fürchten viele Abgeordnete, dass eine Änderung des Stammzellgesetzes der Verzweckung, wie schon gesagt, von menschlichem Leben in Deutschland Tür und Tor öffnet. Lebens- und Würdeschutz könnten aufgeweicht werden. Das Gesetz hat also für viele Abgeordnete hier durchaus eine Symbolwirkung. Lassen Sie mich dazu Professor Hilpert von der Katholisch-Theologischen Fakultät München aus der Anhörung zitieren. Er sagte dort: ”Ich habe bislang noch keine schlüssige Antwort auf die Frage finden können, weshalb die Zerstörung von verwaisten Embryonen durch Auftauen und Entsorgung ethisch würdiger sein soll als ihre Zerstörung durch Entnahme von Stammzellen für die medizinische Forschung, wenn feststeht, dass sie einer Frau nicht mehr eingesetzt werden können.”
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Meine Damen und Herren, in diesem Haus, aber auch in der Wissenschaft sind sich alle darin einig, dass menschliches Leben in vorgeburtlichen Stadien geschützt werden muss. Ein willkürlicher Zugriff, auch durch die Forschung, wird hier von niemandem vertreten. Also kann auch der Vorwurf der Vernachlässigung von Würde- und Lebensschutz nicht erhoben werden.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Die ethisch umstrittenste Frage bleibt, wann menschliches Leben beginnt und damit die Zuschreibung von Menschenwürde. Welchen Umfang soll der Lebensschutz haben? Bis heute treffen selbst Verfassungsrecht und höchstrichterliche Rechtsprechung dazu keine eindeutige Aussage. In der Gesellschaft finden sich verschiedene Wertegemeinschaften mit verschiedenen Wertekonzeptionen. Daher differieren auch moralische und ethische Haltungen. Weil ebendie Antworten durch viele wertgebundene Deutungsschritte geprägt sind, sagen Ethiker, dass der Gesetzgeber nicht zwangsrechtlich intervenieren darf. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir heute als verantwortungsvolle Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber den Stammzellkompromiss zwischen Forschungsfreiheit und Lebensschutz von 2002 mit einer Stichtagsänderung fortschreiben. Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD)