Rede von Gregor Gysi in der Debate des Bundestages zur Bahnprivatisierung
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin kein Bahnexperte, ich bin Generalist.(Lachen bei Abgeordneten der SPD)
So etwas kennen Sie anscheinend nicht.
Vor 170 Jahren ist in Deutschland damit begonnen worden, das Eisenbahnnetz aufzubauen. Was Sie jetzt machen, ist klar: Sie beginnen, die Bevölkerung diesbezüglich zu enteignen. Das ist verheerend.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) Enak Ferlemann (CDU/CSU): Oh!)
1993 hat der Bundestag über die organisatorische Privatisierung gesprochen. Wissen Sie, welche Parteien, als damals die Gesetze verabschiedet wurden, versprochen haben, dass der Bund zu 100 Prozent Eigentümer bleiben wird, für immer und ewig? Die Union, die SPD und die Grünen. Union und SPD haben wieder einmal ein Versprechen gebrochen; das ist die Wahrheit.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Reden wir einmal darüber, was die SED alles an Versprechungen gebrochen hat!)
Ich finde es gut, dass unser Kollege von der CDU/CSU klar gesagt hat, dass diese Privatisierung der Bahn lediglich ein Beginn ist. Sie öffnen eine Tür, und dann wird die Enteignung immer weiter fortschreiten.
(Enak Ferlemann (CDU/CSU): Das ist doch nicht schlecht!)
1993 haben Sie es ist interessant, daran zu erinnern drei Dinge versprochen: Die Bahn wird für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler billiger werden. Die Bahn wird ein kundennahes Serviceunternehmen. Die Schiene wird ihren Anteil am Verkehrsmarkt erhöhen. Nichts davon ist eingetroffen. Dagmar Enkelmann sprach am 2. Dezember 1993 für uns und sagte:
Eine private AG muß das können wir hier relativ nüchtern feststellen auf Gedeih und Verderb gewinnorientiert arbeiten. Der Profit ist das Maß aller Dinge. Da muß das Gemeinwohl zwangsläufig auf der Strecke bleiben.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das scheint keine gute Rede gewesen zu sein!)
Ausdünnungen und Stillegungen sind die Folge.
Hatte Sie recht oder nicht? Es gab Ausdünnungen, es gab Stilllegungen; genau so ist es gekommen.
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE))
Der Schienenverkehr kostet die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler heute mehr als 1994; das hat die FDP schon gesagt. Die Deutsche Bahn AG startete am 1. Januar 1994 nicht vergessen! schuldenfrei. Heute hat sie Schulden in Höhe von 21,5 Milliarden Euro, und ihr Eigenkapital ist fast aufgezehrt.
(Uwe Beckmeyer (SPD): 16,4 Milliarden Euro! Sie müssen sich schon an der Bilanz orientieren!)
Die Deutsche Bahn AG ist weniger kundennah als die alte Bundesbahn; denn die Belegschaft wurde im Vergleich zu 1994 halbiert und 500 Bahnhöfe und Tausende Schalter sind geschlossen worden. Die Verkehrsleistung der Bahn beim Schienenverkehr lag 2005 unter derjenigen von 1993. Das heißt, der Anteil ist deutlich gesunken.
(Dr. Peter Struck (SPD): Wie oft sind Sie denn mit der Bahn gefahren, Herr Gysi?)
Nun kann man sich ja einmal ansehen, welche Erfahrungen andere Länder gemacht haben, die die Bahn privatisiert haben. Die privaten Eisenbahnen in den USA sind fast verschwunden.
(Patrick Döring (FDP): Es gibt gar keine staatliche Bahn in den USA!)
In Großbritannien führte die Bahnprivatisierung zu schweren Unfällen, woraus entsprechende Konsequenzen gezogen worden sind. In Neuseeland wird die Bahn gerade zurückgekauft.
(Zurufe von der CDU/CSU)
Ich bitte Sie: Als die Bahn in Neuseeland verkauft wurde, erbrachte das einen Erlös von 202 Millionen Euro; jetzt wird sie für 336 Millionen Euro zurückgekauft. Dort wurde also ein tolles Geschäft für die Bürgerinnen und Bürger organisiert.
(Beifall bei der LINKEN Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Noch sind wir für Neuseeland nicht zuständig!)
Der neuseeländische Finanzminister das ist kein Linker, meine Damen und Herren von der Union , erklärte wörtlich: Der Verkauf der staatlichen Bahn zu Beginn der 90er-Jahre und der danach folgende Niedergang des Vermögens war eine schmerzliche Lektion für Neuseeland. Nun wollen Sie diese Lektion auch für Deutschland. Das ist die Wahrheit.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Enak Ferlemann (CDU/CSU): Das ist doch Unfug! Was erzählen Sie denn da als Generalist? Sie haben doch keine Ahnung von der Sache!)
Die Bahn gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie muss in öffentlichem Eigentum stehen, weil es um ökologische und soziale Ziele geht; darüber müssen wir uns verständigen. Gibt es ein Grundrecht auf Mobilität oder nicht? Ich habe einmal von einer Sozialhilfeempfängerin ein Schreiben bekommen, in dem stand: Es ist nett, dass du eine Kundgebung organisierst, aber ich kann nicht hinfahren, weil ich mir das nicht leisten kann. Verstehen Sie das? Man muss schon wissen, ob man Sozialtickets will oder nicht.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Zur Ökologie sage ich Ihnen auch etwas: Wenn wir die Gütertransporte von der Straße auf die Schiene verlagern wollen, dann müssen wir günstige Angebote machen und das subventionieren.
(Patrick Döring (FDP): Das muss natürlich der Staat machen!)
Ein Privater wird das nicht subventionieren. Dann bleiben die ökologischen Probleme bestehen. Das ist der eigentliche Skandal.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir brauchen die Bahn in öffentlichem Eigentum, damit wir öffentlich darüber streiten und entscheiden können, meinetwegen auch mit unterschiedlichen Konzepten. Privatisierung bedeutet doch immer, dass man die Politik aus der Verantwortung entlässt. Wenn Sie eines Tages alles verkauft haben, dann haben die Kanzlerin und auch ich diesbezüglich nichts mehr zu entscheiden. Um Ihnen das ganz klar zu sagen: Das halte ich für eine sehr ungünstige Gemeinsamkeit,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) Enak Ferlemann (CDU/CSU): Sie haben in der Frage doch nie etwas zu entscheiden!)
weil dann die Wahl zwischen uns beiden in dieser Hinsicht für die Bevölkerung keinen Sinn mehr macht.
Außerdem sind Sie bereit, das Grundgesetz wieder zu verletzen; das muss man einmal ganz klar sagen. Durch Art. 87 e Grundgesetz wird eine Entscheidung des Bundestages in Form eines Gesetzes verlangt. Sie sagen aber, dass Sie das ohne Gesetz machen. Gestern hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht wieder bestätigt, dass das Grundgesetz verletzt worden ist. Hier passiert das Gleiche. Die SPD verletzt auch ihren eigenen Parteitagsbeschluss, was laut Grundgesetz aber erlaubt ist. Das Grundgesetz zu verletzen, ist laut Grundgesetz aber nicht erlaubt. Daran muss ich Sie erinnern.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Nun wird immer gesagt, dass wir dadurch frisches Geld bekommen. Ich bin ja sehr für frisches Geld.
(Enak Ferlemann (CDU/CSU): Das glaube ich!)
Ja, natürlich. Hören Sie einmal zu! Ich weiß, dass die Bahn Geld braucht.
(Enak Ferlemann (CDU/CSU): Wo haben Sie denn die SED-Millionen? Die können Sie ja der Bahn stiften!)
Nun warten Sie doch einmal eine Sekunde. Heute wurde gesagt, ein Drittel solle dann für Investitionen an die Bahn gehen.
Machen wir uns das doch einmal klar: Jemand kauft knapp ein Viertel der Bahn und zahlt dafür einen Kaufpreis. Ein Drittel bekommt er wieder zurück. Da er dann Eigentümer ist, hat er ja etwas von dem Drittel, das zurückfließt. Das kann man also schon einmal herausrechnen.
(Enak Ferlemann (CDU/CSU): So eine Rechnung! Daran sieht man, dass Sie keine Ahnung haben!)
Die Bahn wird ja auch künftig noch durch den Bund subventioniert; das können Sie nicht leugnen. Knapp ein Viertel davon bekommt immer der private Eigentümer. Verstehen Sie?
(Enak Ferlemann (CDU/CSU): Nein, das verstehe ich nicht! Das kann man nicht verstehen!)
Der private Eigentümer ist natürlich furchtbar edel. Er will nur Geld geben. Ich sage Ihnen aber: Er will auch noch etwas anderes, nämlich in kürzester Frist mehr Geld heraushaben. Das bezahlen entweder die Kundinnen und Kunden oder die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das ist die Wahrheit.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Egal was die SPD jetzt heilig verspricht: Die Privatisierung wird fortgesetzt werden. Das ist die eigentliche Katastrophe. Außerdem wird die Profitorientierung deutlich zunehmen. Kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass das ja nur ein kleiner Anteil von 24,9 Prozent ist. Der Multimilliardär Frederiksen besitzt nur 12 Prozent der Anteile von TUI, entscheidet aber trotzdem, was verkauft wird und wie hoch die Rendite zu sein hat. Sie können mir glauben: Die anderen schaffen mit 24,9 Prozent noch deutlich mehr.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die privaten Investoren haben ein Motiv, ihr Geld zur Verfügung zu stellen: Sie wollen mehr Geld herausbekommen.
(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Das ist doch Ihr Prinzip als Anwalt!)
Dieses Geld wird gezahlt werden müssen. Das ist die eigentliche Tragik.
Es hat mich immer sehr gewundert, dass Transnet auch für die Privatisierung war. Der DGB hat sich sehr darüber geärgert. Heute habe ich erfahren, dass der Vorsitzende der Gewerkschaft, Norbert Hansen, Arbeitsdirektor bei der Deutschen Bahn AG wird. Er bekommt dieselbe Funktion, die Hartz bei VW hatte, bei der Deutschen Bahn AG. Dort verdient er mehr. Er hat die Seiten gewechselt und wird künftig dem Vorstand angehören. Den Rest müssen wir uns denken.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Die Schienen behalten Sie noch. Ich kenne doch Ihre Schrittchenpolitik; sie ist nicht neu. Man muss erst die Tür öffnen so fängt es an , und dann geht die Entwicklung weiter. Die privaten Investoren werden tolle Argumente finden, warum noch mehr verkauft werden muss. Erst erwerben sie 30 Prozent der Anteile; dann werden es 40 Prozent, und so geht die Entwicklung weiter.
(Enak Ferlemann (CDU/CSU): Sie haben schon so viel erzählt! Das ist eine Katastrophe!)
Ich bitte Sie, darüber nachzudenken. In der Politik gibt es Wahlen. Es gibt Gründe dafür, dass die Bevölkerung den Deutschen Bundestag wählen darf, aber nicht den Vorstand der Deutschen Bahn. Insofern ist die Frage, was der Vorstand entscheiden darf und was wir entscheiden dürfen, entscheidend für die Demokratie.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Dafür haben wir Gesetze! Patrick Döring (FDP): Das steht im Aktiengesetz!)
Wenn Sie immer mehr Privatisierungen vornehmen, dann entlassen Sie immer mehr Bereiche aus der Verantwortung der Politik und machen diesbezüglich die Demokratie bedeutungsloser. Die Linken kämpfen für mehr Bedeutung der Demokratie. Die Privatisöre hingegen wollen sie abbauen. Das ist die Wahrheit.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Wenn denn alles ökologisch und sozial unvertretbar wird und Unfälle passieren wie in Großbritannien, dann wird die Regierung eines Tages alles viel teurer zurückkaufen müssen.
(Enak Ferlemann (CDU/CSU): Wir verkaufen doch gar nichts!)
Deshalb ist das, was Sie heute einleiten eine die Bevölkerung teuer zu stehen kommende Enteignung , ein Skandal.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos)) Dateiende